Neue Gentechnik ohne Kennzeichnung?

Der aktuelle EU-Kompromiss gefährdet echte Wahlfreiheit

Anfang Dezember 2025 haben EU-Unterhändler einen politischen Kompromiss zu den sogenannten „Neuen genomischen Techniken“ (NGT) beschlossen – also Verfahren wie Crispr/Cas, mit denen Pflanzen gezielt genetisch verändert werden. Der Kern dieser Regelung: Viele veränderte Pflanzen sollen künftig nicht als Gentechnik gekennzeichnet werden müssen. Sie wären dann im Regal nicht von gentechnisch unveränderter Ware zu unterscheiden.

Noch steht die formelle Zustimmung von Parlament und Mitgliedstaaten aus. Erfahrungsgemäß folgt sie nach einer politischen Einigung jedoch rasch.

Was wurde vereinbart – und warum ist das relevant?

Die EU unterscheidet künftig zwei Gruppen: NGT‑1 bezeichnet Pflanzen, deren genetische Veränderung als theoretisch natürlich möglich eingestuft wird und die deshalb ohne Kennzeichnungspflicht im Lebensmittelregal und mit vereinfachter Zulassung zugelassen werden sollen. NGT‑2 umfasst komplexere genetische Veränderungen, für die strengere Zulassungsverfahren und die Kennzeichnungspflicht weiterhin bestehen.

Damit verschiebt sich Transparenz vom Produkt ins Saatgut: Dieses soll nämlich gekennzeichnet werden, Lebensmittel daraus nicht. Für Verbraucher*innen ist damit beim Einkauf nicht erkennbar, ob neue Gentechnik enthalten ist.

Wenn neue Gentechnik nicht gekennzeichnet wird, steigt das Risiko unbeabsichtigter Einträge in gentechnikfreie Anbausysteme.

Was bedeutet das für Bio-Produkte?

Zwar bleibt Bio weiterhin gentechnikfrei. Gleichzeitig sieht der Kompromiss jedoch vor, dass ein „technisch unvermeidbares Vorhandensein“ von NGT-Spuren nicht als Verstoß gelten soll.

Was heißt das im Klartext? Letztlich doch nichts anderes als dass Grundprinzipien wie Gentechnikfreiheit nicht mehr wirksam und flächendeckend umgesetzt werden können. Der Anbauverband Demeter weist darauf hin, dass diese Formulierung de facto eine Toleranzschwelle ohne ausreichende Schutzmechanismen schafft und damit biologische Wertschöpfungsketten strukturell gefährdet.

Unbeabsichtigte Einträge – also das Eindringen von NGT-Spuren in eigentlich gentechnikfreie Waren – sind keine theoretische Gefahr, sondern können durch Pollenflug, Saatgutverkehr, bei Transport und Lagerung sowie der Verarbeitung in Mischanlagen entstehen.

Kontrolle, Dokumentation und Abgrenzung werden damit deutlich aufwendiger – und kostenintensiver. Die Verantwortung verschiebt sich von den Entwicklern auf diejenigen, die gentechnikfrei arbeiten.

Das ist nicht Vorsorge, sondern Risikoübertragung zulasten ökologischer Betriebe.

Was im Gesetz nicht gelöst wurde: Patente und Abhängigkeit

Unklar bleibt außerdem, wie weit Patente auf genetisch veränderte Eigenschaften künftig reichen. Wenn genetisch veränderte Eigenschaften oder Züchtungen patentiert werden, sind Nutzung und Nachbau dieser Pflanzen nicht mehr frei möglich, sondern an die Rechte derjenigen gebunden, die die Patente halten. Dann bestimmen sie, wer es nutzen darf und zu welchen Bedingungen. Das betrifft nicht nur Zukunftstechnologie, sondern das Grundprinzip bäuerlicher Unabhängigkeit.

Gentechnik ist kein Feindbild. Aber Deregulierung ohne klare Grenzen ist strukturell riskant: weniger Vielfalt, mehr Marktkonzentration, wachsender Druck auf Betriebe, die bewusst unabhängig bleiben.

Warum wir dagegen klar Position beziehen

Wir lehnen neue Gentechnik in unserem System ab, weil:

  • Wahlfreiheit Kennzeichnung braucht
  • Transparenz keine Verhandlungsgröße ist
  • Vielfalt Grundlage von Ernährungssouveränität ist
  • ökologische Landwirtschaft dezentrale Saatgutstrukturen benötigt statt Patentabhängigkeit

Fortschritt heißt für uns: fruchtbare Böden, regionale Wertschöpfung, klimaresiliente Sorten, unabhängige Landwirtschaft. Nicht: Zulassungsbeschleunigung ohne Folgenabschätzung.

Was bedeutet das für Ökokisten-Kund*innen?

Unsere Produkte bleiben gentechnikfrei. Unsere Betriebe arbeiten mit Partnern, die wir kennen, deren Anbauweisen nachvollziehbar sind und deren Saatgutwege transparent bleiben. Denn gerade wenn Kennzeichnung politisch abgeschwächt wird, wird Vertrauen immer wichtiger. Deshalb ist und bleibt Transparenz unser Grundprinzip.

Kennzeichnung ist keine technische Fußnote, sondern Grundlage von Wahlfreiheit. Ist nicht sichtbar, wo gentechnisch veränderte Lebensmittel enthalten sind, wird dem Verbraucher diese Freiheit genommen.

Wir wollen, dass Menschen entscheiden können. Dafür müssen sie wissen, was sie kaufen.

Hier beginnt Ernährungssouveränität: im Saatgut. Ökologischer Landbau setzt auf klare Herkunft, nachbaubare Sorten und transparente Wege – auch dann, wenn politische Regeln die Kennzeichnung abschwächen.

Quellen:

EU‑Rat, Pressemitteilung vom 04.12.2025: https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2025/12/04/new-genomic-techniques-council-and-parliament-strike-deal-to-boost-the-competitiveness-and-sustainability-of-our-food-systems/

Süddeutsche Zeitung, Artikel vom 04.12.2025: https://www.sueddeutsche.de/politik/lebensmittel-eu-einigung-auf-abschwaechung-von-gentechnik-regeln-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-251204-930-377056

BioHandel, Analyse Dezember 2025: https://biohandel.de/bio-branche/ngt-trilog-bio

BÖLW, Positionspapier 2023/2024: https://www.boelw.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Gentechnik/Positionspapier_NGT23_18.11_A.pdf

Demeter, Stellungnahme 4.12.2025: https://www.demeter.de/konzerninteressen-setzen-sich-gegen-verbraucherinnen-und-landwirtschaft-durch

Bilder: Ökokiste e.V.