Gemeinwohl: Wirtschaft geht auch anders!

Ein Interview mit dem Gemeinwohl-Ökonomie-Berater
Jörn Wiedemann.

Wisst Ihr, was hinter dem Begriff „Gemeinwohl-Ökonomie“ steckt? Wenn nicht, geht es Euch wie den meisten. Obwohl viele Menschen den Ansatz der GWÖ sicherlich gut fänden, wenn sie ihn kennen würden. Und sie würden wohl auch nur darauf warten, dass sich die Ideen der GWÖ verbreiten und ein Umdenken in der Wirtschaft auslösen.

Aber der Reihe nach. Wer will was verändern? Und warum? Und was hat das mit den Ökokistenbetrieben zu tun? Darüber sprachen wir mit dem GWÖ-Berater und Referenten Jörn Wiedemann.

Herr Wiedemann, Gemeinwohl-Ökonomie – was ist das?

JW: Gemeinwohl-Ökonomie ist ein Wirtschaftssystem, das auf gemeinwohlfördernden Werten aufbaut und sich am Beitrag zum Wohl der Gemeinschaft orientiert. Die Idee der GWÖ entstand 2010 in Österreich und hat sich bereits über Deutschland und Europa hinaus auch in Amerika und weiteren Kontinenten verbreitet. Die Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie engagiert sich für ihre Werte in allen Gesellschaftsbereichen. Das Credo heißt: Wirtschaft soll dazu dienen, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen – hier und anderswo, jetzt und in Zukunft, für Mensch, Tier und Natur. Das wichtigste Werkzeug dafür ist die Gemeinwohl-Bilanz.

Mann und Frau auf Kornfeld

Petra Graute-Hannen & Heinrich Hannen vom Lammertzhof in Kaarst: „Was tragen wir dazu bei, um ein ‚gutes‘ Leben für alle Menschen zu ermöglichen? Diese Frage stellen wir uns immer wieder.“ (Gemeinwohl-Bilanz Lammertzhof 2013/14)

Gemeinwohl-Bilanz? Verraten Sie uns, was dahintersteckt!

JW: Gemeinhin bilanzieren Wirtschaftsunternehmen ihre finanziellen Ströme, Ressourcen und ihren Besitz. Wieviel Umsatz bei welcher Rendite und welchem Ergebnis vor Steuern wurde erwirtschaftet? Welche Vermögenswerte bestehen – Produktionsmittel, Immobilien, Beteiligungen usw.? Mit der zunehmenden Erkenntnis, dass Geld nicht der einzige Maßstab sein kann, um unternehmerische Tätigkeit zu bewerten, sind weitere Bilanzen und Dokumentationen entstanden: Nachhaltigkeitsberichte, CO2- und Öko-Bilanzen oder die Darstellung sozialer Verantwortung – neudeutsch „Corporate Social Responsibility“.

Die GWÖ geht aber deutlich weiter und erfasst mit der Gemeinwohl-Bilanz alle relevanten Aspekte im Hinblick auf den Beitrag einer Organisation zum Wohl der Gemeinschaft. Der Fragenkatalog dazu ist umfassend und er kratzt keineswegs nur an der Oberfläche. Da geht es etwa um den Umgang mit Mitarbeitenden, Partner*innen und Lieferant*innen, um die Standards in der gesamten Liefer- und Wertschöpfungskette, um Produktionsmittel und -verfahren, den Umgang mit Ressourcen und der Umwelt, um die Verwendung finanzieller Mittel, um sozialen Ausgleich, um Transparenz, Mitbestimmung und Gleichberechtigung – und um vieles mehr. Der Gemeinwohl-Bericht ist das Herzstück jeder Gemeinwohl-Bilanz. Ihn zu schreiben, ist bereits wie ein Blick in den Wertespiegel. Man erkennt genau, wo man auf dem Weg zur Gemeinwohl-Organisation steht. Zur Gemeinwohl-Bilanz gehört auch eine übersichtliche Matrix, die aus dem Gemeinwohl-Bericht heraus vier Werte-Kategorien  in Bezug zu fünf Berührungsgruppen setzt und den Erfüllungsgrad in einem Prozentwert auf der Basis erreichbarer Punkte ausdrückt.

Da scheint es Gemeinsamkeiten mit der Ökokiste zu geben.

JW: Das sehe ich auch so. Die im Verband Ökokiste e.V. zusammengeschlossenen Betriebe sind ja in erster Linie eine Wertegemeinschaft, denen die üblichen Standards verantwortlichen Wirtschaftens keinesfalls ausreichend sind. Ökokistenbetriebe setzen sich permanent mit wertebasierter Betriebsführung auseinander und sind zum Beispiel in sozialen und ökologischen Fragen schon bedeutend weiter als viele andere Akteure im immer größer werdenden Bio-Markt. Deshalb ist ein Austausch mit diesen Betrieben auch für die GWÖ hochinteressant. Ich habe daher erst kürzlich beim Verband Ökokiste e.V. einen Vortrag über die GWÖ gehalten und bin auf zahlreiche gemeinsame Vorstellungen und viel Zuspruch für unseren Ansatz gestoßen.

Ist denn ein weiterer Austausch mit Ökokistenbetrieben geplant?

JW: Es gibt ja schon Ökokistenbetriebe, die eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt haben, und mit weiteren bin ich bereits im Gespräch. Das braucht nur etwas Zeit – zumal die Ökokistenbetriebe aktuell kaum die Nachfrage neuer Kund*innen bedienen können.

Herr Wiedemann, vielen Dank für das Gespräch.
Und viel Erfolg mit der GWÖ!

 

Großes Bild oben:

Familie Lecker vom Biohof Lecker in Laufen: „Über unser Tagesgeschäft hinaus bewegen uns immer auch Zukunftsthemen wie beispielsweise der ethische Umgang mit unseren Tieren und der Klimawandel.“

 

Bilder: Biohof Lecker; Jörn Wiedemann, GWÖ; Lammertzhof;